Benzingespräche

Dr. Harry Niemann

Technikaffiner Oldtimerliebhaber und Autor im Gespräch mit BELMOT

Dr. Harry Niemann war Gast bei unserem BELMOT-Fachtag "Glanzleistung" und Teilnehmer der Podiumsdiskussion. Der technikaffine Heppenheimer Oldtimerliebhaber, Fachjournalist zahlreicher erfolgreicher Bücher und ehemalige Leiter des Archivs und der Fahrzeugsammlung der Daimler AG hat BELMOT durch seine unterschiedlichen beruflichen Stationen allerhand Spannendes zu erzählen.

Dr. Harry Niemann vor dem Interview beim BELMOT Fachtag (Foto: Mannheimer Versicherung AG)

Mit welchen Erwartungen nehmen Sie an unserem BELMOT Fachtag teil?
Als immer noch Oldtimerinteressierter und Autor von zahlreichen Oldtimerbüchern ist es natürlich immer wieder interessant, die verschiedenen Aspekte des mittlerweile sehr raumgreifenden Geschäfts kennenzulernen und mit den unterschiedlichen Akteuren, ob das nun Händler oder Restauratoren oder auch Versicherer sind, die Themen, die den Oldtimerbegeisterten auf der Seele brennen, zu diskutieren.

       Foto links: mit BELMOT-Markenmanager beim BELMOT-Fachtag                     Foto rechts: In Daimlers werkseigenem MB 220 (Foto: Dr. Niemann)


Für welche Themen brennt Ihr Herz?
Ich bin ja lange in diesem Geschäft. Mir brennt eigentlich kein Thema mehr auf der Seele, ausgenommen, dass ich noch viel Spaß an alten Autos habe und dies hin und wieder versuche, literarisch zu verarbeiten. Kürzlich habe ich das Buch "Das Jahrhundertauto" geschrieben, gemeinsam mit Hans Kleissl, dem bekannten 300 SL Restaurator. Dort werden nicht nur die technischen Aspekte des Autos behandelt sondern auch, welche Bedeutung das Auto in seiner Zeit für ein Publikum hatte. Wer fuhr es damals? Das waren ja ganz bekannte Namen und Liebhaber dieses Fahrzeugs: Von Gunther Sachs, über Aga Khan bis Karajahn. Es hat sich eine ganz spezielle, gesellschaftliche Melange um das Auto gebildet.

Welche Themen werden uns in Zukunft Ihrer Meinung nach in der Oldtimerszene beschäftigen?
Wir stehen vor großen Umbrüchen. Bei der Generation, die in die Messingautos verliebt war, die um die 1900er Jahrhundertwende gebaut wurden, lässt das Interesse extrem nach. Ähnliches lässt sich bei den Autos der 20er/30er Jahre beobachten. Das mag aber auch daran liegen, dass diese in Preisregionen abdriften, die für den Ottonormalverbraucher nicht mehr bezahlbar sind. Ein großes Interesse ist nach wie vor für die Youngtimer zu beobachten. Der Porsche 911, Baujahr 1982, der steigt auf einmal in Preisregionen, bei denen man nur noch den Kopf schütteln kann. Das gilt auch für den Jaguar E-Type, der Mercedes 230 SL, also der Baureihe 113. Ich denke, es findet eine Verlagerung statt. Und interessant zu beobachten ist: Was passiert mit den großen Sammlungen? Es gibt private Sammlungen, die aus dreißig Wagen bestehen, darunter Wagen, die mehrere Millionenbeträge wert sind. Hier stellt sich die Frage: Wie können diese Wagen eigentlich vererbt werden. Man sieht, diese Oldtimerei ist ein ganz komplexes Feld, bei dem es auch immer um große Summen geht. 

Welche berufliche/n Station/en vermissen Sie manchmal und warum?
Ich muss sagen, meine Zeit bei Daimler-Benz war sehr prägend und produktiv für mich. Dort habe ich sehr viele Publikationen veröffentlicht, Tagungen organisiert,  wissenschaftliche Schriften initiiert, die es bis heute gibt. Das war für mich eine sehr lehrreiche Zeit. Ich war in verschiedenen Nomenklaturen beschäftigt, also sowohl bei Mercedes-Benz, Daimler-Benz, Daimler-Chrysler und wieder Daimler.
Es gibt ja praktisch kein anderes Autounternehmen, bei dem Sie alles ohne Unterbrechung kennenlernen dürfen: vom ersten Auto, das über die Mannheimer Ringstraße gefahren ist bis zum modernsten high-tech, autonom fahrenden Auto.
Ich bin selbst oft mit Museumsbesuchern und dem Nachbau des Benz Patent-Motor-Wagens durch das Museum oder auch bei Veranstaltungen mitgefahren. Es ist einfach faszinierend, diese über 125-jährige Geschichte vor Ort miterleben zu dürfen. Dies war also schon eine der herausragenden Stationen meines beruflichen Lebens.
Ich habe das sehr genossen, denn ich war für die Fahrzeugsammlungen verantwortlich und bin dann auch oft auf Veranstaltungen gegangen. Ich durfte Autos fahren, bei denen man sonst Multimillionär sein musste. Wenn man jetzt mit dem Vorkriegsdienstwagen von Rudolf Caracciola unterwegs war oder mit einem Flügeltürer, das waren alles tolle Erlebnisse und daran denke ich auch gerne zurück. Ich bin der Marke noch immer verbunden. Wenn man sich mit so viel Enthusiasmus einem Thema gewidmet hat, dann bleibt das nicht in den Kleidern hängen. 

Stichwort Leiter Daimler-Benz Archiv: Möchten Sie mir über "Carmen" erzählen? Was steckt genau dahinter?
Ein amerikanischer Großaktionär verklagte die Daimler-Chrysler AG auf acht Milliarden Dollar, weil er behauptete, die Fusion sei keine partnerschaftliche Verbindung, sondern ein "unfriendly overtake" gewesen. Er ist dann mit dieser Forderung vor Gericht gezogen. Vor diesem Hintergrund kam der Leiter unserer Rechtsabteilung zu mir: "Da muss es irgendwie Akten geben zu CARMEN". Er wisse nicht, wo diese seien, diese wären aber für den Prozess ganz wichtig, da sie bereits Verhandlungen aus dem Jahr 1995 zeigen. Zu dieser Zeit war Helmut Werner noch Vorstand der Mercedes Benz AG und schon damals wurde mit Chrysler verhandelt. Ich wies meine Mitarbeiter an, danach zu schauen. Jedoch kamen alle mit einem Schulterzucken wieder. Wir hatten zusätzlich zu unserem Archiv in Untertürkheim noch ein Archiv in Möhringen, ein Unternehmensarchiv. Ich schickte einen Mitarbeiter dorthin, er zuckte immer nur die Schulter, während er im PC im Datenarchiv suchte. Dann fuhr ich selbst hin und stellte mich intuitiv vor diese riesen Aktenwände. Ich fand einen Aktenordner mit einem Rückenschild, das sich nicht "Carmen" las, sondern "Car-MAN". Daraus ergaben sich dann insgesamt sogar zwanzig laufende Meter Ordner. Mit dem Inhalt dieser Aktenordner haben wir ruck zuck diesen Prozess gewonnen.
Mein Fazit aus dieser und weiteren Erfahrungen, bei denen es zu Gerichtsprozessen kam: Der geringe Aufwand, den man für ein Archiv betreiben muss, zahlt sich oft langfristig aus, gerade auch in Patentstreitigkeiten zum Beispiel.  

Gibt es Tage in Ihrem Leben, an denen Autos, Motoren oder deren Historie keine Rolle spielen?
Ich bin begeisterter Golfspieler und habe auch in meiner Tätigkeit als Journalist über diverse Themen, die aber immer einen technischen Bezug hatten, geschrieben. Zum Beispiel für die FAZ, Technik und Motor, über Golfschläger, Tennisschläger oder Uhren und HIFI-Anlagen. Technik zu beobachten und zu kommentieren, besonders Uhren- oder Golfschlägertechnik ­–  das ist tatsächlich mein zweites Interessensgebiet, neben den Oldtimern.

Sicher haben Sie selbst im Laufe Ihres Lebens einen oder mehrere Oldtimer besessen? Welcher war/ist Ihr wahres Schätzchen und weshalb?
Nein, ich habe keinen Oldtimer und habe auch nie einen besessen. Ich war für knapp 600 Sammlungsfahrzeuge verantwortlich und konnte auf jedes Auto zugreifen, da hat man eigentlich gar nicht das Bedürfnis, selbst noch einen Oldtimer zu fahren. Und es war auch so, dass ich gar nicht die Zeit hatte, mich selbst noch um einen Oldtimer zu kümmern. Kollegen von mir haben oft geseufzt, dass ihr Wagen herumsteht und sie nicht dazu kommen, sich um das Fahrzeug zu kümmern. Wenn eine Veranstaltung war, sind sie mit dem werkseigenen Wagen gefahren –  genau wie ich.  

Was ist Ihr Lieblingsbuch (welches lesen Sie gern)?
Ich bin ein großer Thomas Mann Freund. Eines meiner Lieblingsbücher von ihm ist "Doktor Faustus", weil es über die reine Belletristik hinausgeht. Mann hat darin gut die deutsche Seele und das deutsche Geschick eingefangen und eben romanhaft dargestellt. Es ist nicht einfach ein Fantasiebuch sondern er hat ganz sensibel die gesellschaftlichen Strömungen wahrgenommen und beschrieben. Das gefällt mir an dem Buch sehr gut. Und Thomas Mann ist natürlich auch ein begnadeter Erzähler. Wenn man sich in diesen Sprachrhythmus eingelesen hat, fließt es.

Welche Recherchearbeit Ihrer vielen Bücher hat Ihnen am meisten Spaß gemacht oder besonders gefordert?
Ich bin zum Thema Maybach ein Spezialist geworden. Wilhelm Maybach war ja der congeniale Weggefährte von Gottlieb Daimler, der dann im Laufe der Geschichte immer mehr in Vergessenheit geraten ist. Es gibt ein sehr schönes Buch über die Geschichte des Verbrennungmotorenbaus von Friedrich Sass. Sass hatte mit Karl Schnauffer einen akribischen Rechercheur der eine umfangreiche Dokumentation über die Frühgeschichte des Motorenbaus erstellte. Eines Tages war ich bei der MTU (damals gehörte die MTU noch zur Daimler-Benz AG). Dort zeigte mir der damalige Pressechef dieses riesige Aktenmaterial, was noch vorhanden war. Ihn fragte ich: "Hätten Sie das Vertrauen, mir das Archivmaterial mitzugeben?". "Ihnen gebe ich es gerne mit!" lautete die Antwort. Und so habe ich mich dann in dieses Thema eingearbeitet und erst einmal gesehen, wie umfänglich Maybach, der technische Kopf der Daimler Motorengesellschaft, eigentlich war. Er war ja auch der Vater des Mercedes, hat den ersten Mercedes gebaut. Und so fing ich an und schrieb eine Maybach Biographie. Das war sehr passend, weil man zu dieser Zeit seinen 150. Geburtstag  gefeiert hat.
Für dieses Buch habe ich sehr tief recherchiert und rückblickend ist dies mein gelungenstes Buch. Über seinen Sohn, Karl Maybach – der ja in Friedrichshafen Automobile gebaut hat – und dessen Autos habe ich dann auch noch eine Biographie geschrieben, auch anlässlich eines Jubiläums. Diese beiden Bücher sind meine beiden inneren Lieblinge.
Wilhelm Maybach hat mich besonders berührt, weil er aus der Gesellschaft rausgemobbt wurde. Die beiden Daimler-Söhne haben sich gegen ihn verbündet, weil sie dachten, die Sonne scheine zu hell auf ihn. Konsequenterweise ist er gegangen und hat begonnen, gemeinsam mit seinem Sohn Luftschiffmotoren zu bauen. Nach dem Unglück in Echterdingen, bei dem der Zeppelin in Flammen aufgegangen war, schrieb er den Grafen von Zeppelin an und verwies auf seinen Sohn, den jungen Ingenieur, der ihm neue Motoren bauen könne, die besser seien als die Daimler Motoren. Das war der Grundstein für die heutige enge Zusammenarbeit der Maybach-Motorenbau GmbH mit der Daimler-Benz AG.  In diese Frühphase der automobilen Entwicklungen einsteigen zu können, das war für mich ebenso äußerst spannend.

 

Lieber Herr Dr. Niemann: Es war ein sehr spannendes Gespräch mit Ihnen. Vielen Dank dafür. 

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Rückblick auf den BELMOT-Fachtag 2018

  • http://www.echo-online.de/lokales/bergstrasse/heppenheim/heppenheimer-historiker-harry-niemann-veroeffentlicht-buch-ueber-das-jahrhundertauto-mercedes-benz-300-sl_18432621.htm
  • https://de.wikipedia.org/wiki/Harry_Niemann_(Publizist)
  • https://blogq5.de/author/harry/
  • https://ticker.mercedes-benz-passion.com/tag/dr-harry-niemann/

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